Die Aartalbahn kann nur so gut sein wie ihre Anschlüsse in Wiesbaden. Besonders nach einem ersten, kurzen Blick auf die Karte können hier aber schnell falsche Hoffnungen geweckt werden. Denn die Anbindung des Wiesbadener Hauptbahnhofes ist weder einfach noch schnell oder günstig zu haben. Im Bahnhof Wiesbaden Ost werden die Bahnsteige nicht erreicht – vom Aufwand einer direkten Verknüpfung mit der Ländchesbahn gen Wallauer Spange ganz zu schweigen.

Keines davon ist aber ein K.O.-Kriterium für die Reaktivierung der Aartalbahn. Dennoch schützt eine realistische Einschätzung vor bösen Überraschungen beim Blick auf die Zeitleiste oder das Preisschild einer Reaktivierung. Der Anschluss neuer Strecken, neuer Weichen und Signale ziehen stets umfangreiche Planungen und Umbauten – auch in der Leit- und Sicherungstechnik der zuständigen Stellwerke – nach sich.

Ein Grund, die drei häufigst diskutierten Verknüpfungsmöglichkeiten näher zu beleuchten.

Wiesbaden Hauptbahnhof

Der größte Teil der Berufspendler aus dem Rheingau-Taunus-Kreis pendelt nach Wiesbaden. Knapp die Hälfte der 45.000 Pendler findet sein Ziel in der Landeshauptstadt. Nur jeder fünfte pendelt nach Frankfurt, nur jeder zehnte nach Mainz oder den Main-Taunus-Kreis. Der Wiesbadener Hauptbahnhof ist gleichzeitig Ausgangspunkt einiger Regional- und S-Bahnlinien und in Sachen Busverkehr der Knoten schlechthin: Eine Anbindung des Hauptbahnhofes erscheint also höchst sinnvoll. Zumal die Fahrten auf der Aartalbahn früher bereits auch am Hauptbahnhof starteten.

Das (ehemalige) Gleis der Aartalbahn (gelb) im Gleisfeld des Wiesbadener Hauptbahnhofes im Jahr 2020. Karte: Luftbildarchiv Landeshauptstadt Wiesbaden.

Doch der Blick auf den heutigen Zustand zeigt mehrere Probleme. Denn die Verbindungsweiche zum Anschluss der Aartalbahn fehlt. Das Jahr des Ausbaus ist mit derzeit nicht bekannt; die Weiche fehlte jedoch bereits 1998 – wie ältere Luftbildaufnahmen belegen. Im Vorfeld der fehlenden Weiche wurde außerdem zwischen 1998 und 2003 ein Verteilerhäuschen direkt auf dem ehemaligen Gleis errichtet.1Falls jemand die genaue Funktion des Verteilers kennt: Ab in die Kommentare damit!

Gleis der ehemaligen Aartalbahn (Strecke 3500, gelb) und eines der Gleise der Strecke der Ländchesbahn (Strecke 3509, rot). Karte: Luftbildarchiv Landeshauptstadt Wiesbaden.

Doch auch ein Rückbau des Verteilers und der Wiedereinbau der Weiche helfen nicht weiter. Der Bahnsteig, zu dem dieses Gleis führte, existiert nicht mehr. Dort, wo das ehemalige Gleis 11 zu Betriebszeiten der Aartalbahn lag, stehen heute Fahrradabstellanlagen und eine Fahrradwerkstatt.

Nach Stilllegung der Aartalbahn wurde der Bahnsteig obsolet. Beim Umbau des Gleisvorfeldes im Rahmen der Inbetriebnahme der Strecke Breckenheim-Wiesbaden (Richtung Schnellfahrstrecke Köln) 2002 wurde das Gleis zunächst abgebunden, später demontiert und zur heutigen Nutzung umgebaut.2Bis zur Premiere nur noch wenige Tage: Der erste ICE von Köln läuft am 15. Dezember im Wiesbadener Hauptbahnhof ein. In: Wiesbadener Tagblatt, 06.12.2002. Es ist also eine komplett neue Gleisverbindung notwendig – eine, die weiter südlich von der ehemaligen Anbindung zur Strecke der Ländchesbahn stößt.

Welchen Aufwand das nach sich zieht, ist für mich schwer abzuschätzen. Denn: Der Höhenunterschied zwischen den beiden Strecken wächst, je weiter südlich wir uns bewegen – die Ländchesbahn läuft schließlich unterhalb des 2. Rings, die Aartalbahn oberhalb.

Wiesbaden Ost

Neben der nördlichen Anbindung in Richtung Hauptbahnhof existiert noch eine weitere in Richtung Süden (Wiesbaden Ost). Diese kreuzt sowohl die rechte Rheinstrecke als auch die Mainzer Straße zwischen Amöneburger Kreisel und Kasteler Straße.

Nicht mit all den anderen Bahnbrücken an der Stelle verwechseln. Die Bogenbrücke gehört zur Aartalbahn. (Bild: blog.mahrko.de)

Die gute Nachricht ist: Die Weiche liegt noch. Da die südliche Verbindungskurve der Aartalbahn vornehmlich dem Güterverkehr in Richtung des ehemaligen Wiesbaden Hauptgüterbahnhofs (im Bereich des heutigen Künstlerviertels) diente, hat die Aartalbahn allerdings keine Verbindung zu den Bahnsteigen im Bahnhof Wiesbaden Ost.

Die im Bahnhof Wiesbaden Ost einmündende Aartalbahn-Strecke erreicht die Bahnsteige nicht. Karte: Luftbildarchiv Landeshauptstadt Wiesbaden.

Im Rahmen der Vorstellung der Machbarkeitsstudie zur Erschließung des Ostfeldes im Verkehrsausschuss (01. Dezember 2020) wurde ein Konzept für den Bahnhof Wiesbaden Ost gezeigt, welches einen weiteren, neu zu bauenden Bahnsteig an der rechten Rheinstrecke zeigte. Prinzipiell scheint der Neubau eines Bahnsteiges erscheint also zumindest möglich.

Der für Züge von der Aartalbahn mit der heutigen Gleislage in Richtung Süden nächste, erreichbare Bahnhof ist also nicht Wiesbaden Ost, sondern Mainz-Kastel bzw. Mainz-Nord.

Ländchesbahn & Wallauer Spange

Mit der Einführung des Rheingau-Express‘ (RE9) zum Fahrplanwechsel 2019 verfolgte der rmv ein für Pendler erfreuliches Konzept: Zusätzlich zu den schon fahrenden VIAS-Zügen der RB10 aus dem Rheintal über Wiesbaden Hauptbahnhof nach Frankfurt wurden zusätzliche Züge eingesetzt, die sich den Zwischenstopp im Wiesbadener Hauptbahnhof sparten und direkt von Biebrich nach Kastel fuhren. Das verkürzte die Fahrtzeiten um rund zehn Minuten.

Wieso also nicht im Falle der Aartalbahn ein ähnliches Konzept denken? Die Vorzüge der Wallauer Spange liegen auf der Hand: Eine drastische Reduktion der Fahrtzeiten zum Flughafen und eine kürzere Fahrtzeit nach Frankfurt und Darmstadt. Wieso nicht also (auch) direkt von der Aartalbahn auf die Wallauer Spange, ohne den Zeit kostenden Umweg über den Hauptbahnhof?

Zwischen der Aartalbahn (links, braun) und der Ländchesbahn (zur Wallauer Spange) (rechts, orange) existiert keine direkte Gleisverbindung. (Karte: openrailwaymap.org)

Das Problem: Es existiert schlichtweg keine Gleisverbindung. Zwischen der Aartalbahn und der Ländchesbahn liegen die Mainzer Straße, das Klärwerk, die Mühltalsiedlung, das Tierheim und fünf weitere Gleise, die überquert werden wollen. In der Folge sind Züge also zum Kopfmachen im Hauptbahnhof gezwungen.3Ein Kopfmachen in Kastel ist denkbar, aber unpraktisch – Kastel ist weiter weg, es dauert folglich länger. Auch ist die Verbindungskurze von Kastel auf die Ländchesbahn stillgelegt.)

(Karte: openrailwaymap.org)

Alle drei Varianten einer neu gebauten Verbindung haben offensichtliche Nachteile. Für eine geradlinige Verbindung liegen die Häuser der Mühltalsiedlung und des Klärwerks im Weg. Eine Verschwenkung nach Süden kreuzt außer den Klärbecken zwar keine Gebäude, die Verbindungskurven zur Ländchesbahn aus Richtung Süden (braun) ist aber stillgelegt und nicht an die Ländchesbahn angebunden. Eine Verschwenkung Richtung Norden braucht ebenfalls neue Weichen auf der Ländchesbahn

Allerdings wage ich die Prognose, dass die Pendlerzahlen zwischen Frankfurt Flughafen via Delkenheim Richtung Aartal derart übersichtlich bleiben werden, dass sie solch aufwendige Neubaumaßnahmen nicht rechtfertigen können werden. Es wird also – so meine Prognose – auch langfristig von der Aartalbahn entweder zum Hauptbahnhof oder direkt nach Süden Richtung Mainz und Kastel gehen.

Titelbild: Danke an blog.mahrko.de


mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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David

English comment passing by.
Very interesting article, very detailed.
For the first point, looking at google maps, the change from the Aartalbahn to the track 10 doesn’t seem very difficult. I can’t appreciate the height difference, but one can see arriving with the S-bahn to Frankfurt the level change going down to the underground station. I am not sure height + track change.
About the Wi-Ost option it looks feasible, by checking the map, a track change to reach (I believe it is) the platform 1. There is a building before, but a track connection seems possible (by seeing the distance of the track change from platform 1 to the next west)
I follow you in Facebook waiting for further articles about it
cheers

David

Ok, looking at the pictues of mahrko it seems it is platform 4

Sebastian

Zur Anbindung in den Hauptbahnhof:
Diese ist ganz problemlos möglich. Das Häuschen mit (meines Wissens Elektronik u.a. für die Weichenheizungen) steht zwar auf dem ursprünglichen Trassengleis, es kann aber davor schon sehr leicht verschwenkt werden auf die bisherige Gleislage des Nachbargleises. Es ist heute noch gut zu erkennen, an welcher Stelle die Kreuzungsweiche in eine einfach Weiche zurückgebaut wurde. Verfolgt man das ursprügliche Gleis gerade aus, endet dies heute noch vor der Bahnhofshalle. Dieses müsste nur einfach wieder verlängert werden. Die heutigen Fahrradparkplätze sind kein wirkliches Hindernis, ebenso nicht die entsprechende Werkstatt.Der Bahnsteig ist grundsätzlich noch baulich vorhanden, es müsste nur wieder ein Gleis verlegt werden, nach ggf. entsprechender Anpassung der Gleiskörperhöhe. (Ich weiß nicht, ob die Mulde für das Gleis irgendwann verfüllt wurde, ich war länger nicht mehr vor Ort).
Spannend ist die Frage, wieso es überhaupt damals irgendwann zum Abbau kam. Das Gleis war eindeutig der Aartalbahn zugeordnet und stand daher unter Denkmalschutz, wie die Gesamtanlagen der hessischen Aartalbahn auch.
Jedenfalls ist eine Anbindung wie von Mathias gedacht viel zu kompliziert und mit großen Höhenunterschieden verbunden. Eine Anbindung fast nach Originalbestand ist ohne Probleme möglich mit Einbau einer Kreuzungsweiche und Wiederherstellung des Gleises 11 bis in den Hbf. Bei einer Freischnittaktion nach über 30 Jahren stillgelegtem Gleis, haben die Aktiven der NTB sogar mit Erlaubnis des diensthabenden Fahrdienstleiters mit dem Zweiwegebagger höhengleich auf die Bahnhofsgleise umgesetzt.
Es geht alles, wenn man nur will. Und es muss nicht gleich kompliziert sein. 🙂

Sebastian

Es steht die Aartalbahn mit allen ihren bahnspezifischen Anlagen (Gleise, Gebäude, etc.) unter Denkmalschutz. Aber das hat beim Abbau wohl niemanden interessiert und ist heute wohl nicht mehr relevant im Bereich Hbf…
Die Fahrradwerkstatt und -abstellanlagen lassen sich sehr viel einfacher an einem anderen Standort unterbringen, als ein Gleis mit Bahnsteig irgendwo hinzuzimmern. Hier ist es ja nur die Frage, wo man diese unterbringen möchte. Jedenfalls ist klar, dass es kein echtes Hindernis ist und mit sehr überschaubarem Aufwand zu lösen. Und wenn man seine Fahrradwerkstatt in die alte Gleistrasse baut (wobei es ja sogar ein alter Bauzugwagen ist), heißt das noch lange nicht, dass diese Trasse nicht irgendwann mal wieder gebraucht wird. Theoretisch könnte man sogar das Gleis (was aber sehr unschön den Reisenden gegenüber wäre) nur bis an die Fahrradanlagen heran führen und früher enden lassen (analog bspw. Gleis 24 im Hbf Frankfurt).
Wenn es zu einer Umsetzung käme, wird man sicherlich eine praktible Lösung finden.

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