Im April 2020 war es soweit: Mit einer Novelle der Straßenverkehrsordnung konnten Kommunen öffentliche Parkplätze an Bundesstraßen für stationsbasiertes Carsharing ausweisen. Prompt folgten in Wiesbaden Stationen entlang des 1. Rings und der Aarstraße. Eineinhalb Jahre später legte der Hessische Landtag die notwendigen Grundlagen dafür, auch entlang von Kreis- und kommunalen Straßen entsprechende Stellplätze auszuweisen. Das Wiesbadener Carsharing-Netz wächst entsprechend der größeren Möglichkeiten – unterstützt auch durch die weitestgehend einstimmig votierende Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung zum weiteren Ausbau des Netzes.

  • In Wiesbaden werden derzeit1Stichtag: 31.12.2021 83 stationäre Carsharing-Fahrzeuge an 39 Standorten angeboten. Diese verteilen sich auf die Anbieter book’n’drive, flinkster und scouter.
  • On Top kommen fünf weitere Stationen (zehn Fahrzeuge) des Anbieters stadtmobil, die aufgrund fehlender Daten in diesem Artikel aber nicht analysiert werden. Grundlage der folgenden Analysen ist das Gesamtjahr 2021.
  • Der Buchungsgrad dieser Fahrzeuge liegt mit im Schnitt 28,6 % etwa doppelt so hoch wie die Nutzungsdauer von Privat-PKW.
  • Die neuen Stationen entlang des 1. Rings sind überdurchschnittlich gut gebucht.
  • Nur neun der 83 Fahrzeuge unterschreiten die tägliche Nutzungsdauer durchschnittlicher (!) Privat-PKW.
  • Die Länge der einzelnen Buchungen schwanken nicht signifikant im Wochenverlauf oder in Abhängigkeit des Fahrzeugtyps.

Überblick stationsbasiertes Carsharing

Bis dato waren Stellplätze für stationäres Carsharing nur auf Privatgrundstücken möglich – also Parkplätzen von Privatpersonen, Immobilieninhabern, Firmen und Institutionen. So wird nicht nur die Zahl möglicher Stellplätze (und damit die Netzdichte) signifikant eingeschränkt, sondern auch verteuert: für private Stellplätze werden mitunter deutliche Summen aufgerufen. Auch deshalb gibt es beispielsweise bis heute nur zwei Carsharing-Stellplätze in Wiesbaden-Mitte – und die ganz am Rand (Platter Straße, Adolfsallee/Ring.)

Dabei können Carsharing-Autos die Anzahl Privat-PKW deutlich reduzieren. Laut Umweltbundesamt könne ein Carsharing-Auto bis zu zehn private PKW ersetzen. Andere Studien kommen auf mal höhere, mal niedrigere Werte – gemeinsam ist ihnen aber die Erkenntnis: Ein stationäres Carsharing-Auto kann mehrere, private PKW ersetzen. Besonders in Vierteln mit hohem Parkdruck ist das ein wertvolles Werkzeug.

Stationsautos wollen grundsätzlich dort hin zurück, wo sie herkommen. Das erspart allerdings auch die langwierige Parkplatzsuche.

Zielgruppe sind dabei Menschen, die ein Auto eher gelegentlich als täglich nutzen und so auf ein Carsharing-Auto umsteigen können, um ihr eigenes Erst-/Zweitauto zu ersetzen. 2Ob durch den Umstieg auf Carsharing-Autos die Gesamt-PKW-Fahrleistung steigt oder sinkt, ist sicherlich eine spannende Frage. Für die Parksituation sind die Auswirkungen aber ohne Frage positiv – wenn die Carsharing-Angebote auch entsprechend genutzt werden.Dieser Artikel analysiert die Fahrzeuge des stationsbasierten Carsharings in Wiesbaden. Grundlage für die Analyse bilden somit die 83 Fahrzeuge verschiedener Typen an 39 Stationen in Wiesbaden. Die Carsharing-Fahrzeuge im Free-Floating (cityflitzer) werden in einem separaten Artikel betrachtet.

Stationsbasierte Fahrzeuge haben einen festen Stellplatz, an den sie nach der Nutzung wieder abgestellt werden. Die Fahrzeuge eigenen sich damit für Fahrten, in denen Quelle und Ziel gleich sind – beispielsweise Einkaufsfahrten, Ausflüge oder Personentransporte („Ich hol dich vom Bahnhof ab.“). Durch den festen Stellplatz entfällt auch die oftmals zeitraubende Parkplatzsuche. Weniger geeignet sind sie für beispielsweise klassisches Pendeln.

Nutzung von Privat-PKWs

Autonutzung in Deutschland

Zur Feststellung, ob (oder ob nicht) Carsharing-Autos intensiver genutzt werden als Privat-PKW, ist ein Blick auf die Nutzung von Privat-PKW unumgänglich. Annähern kann man sich hier über Durchschnittswerte.

Bundesweit kommen 527 Autos auf 1.000 Einwohner. Auf dem Land ist die Quote höher als in der Stadt, in den Alten Bundesländern höher als in den Neuen. Zur Nutzung der Privat-PKW kommt die Studie zur Mobilität in Deutschland (2017) zu folgenden Kern-Erkenntnissen:

  • Selbst in Hauptverkehrszeiten sind nie mehr als 10 % aller PKW gleichzeitig unterwegs. Auch in Spitzenverkehrszeiten sind über die Hälfte aller PKW am Wohnort geparkt.
  • Die mittlere Betriebszeit pro PKW und Tag liegt bei knapp 45 Minuten, in denen im Schnitt 30 Kilometer zurückgelegt werden. 40 % der PKW werden an einem durchschnittlichen Tag gar nicht genutzt.
  • Entsprechend sind PKW im Schnitt 23 Stunden pro Tag geparkt – davon 20 Stunden am Wohnort. Die Hälfte aller PKW im städtischen Raum wird im öffentlichen Straßenraum geparkt.

Ein spürbarer Anteil der Privat-PKW in Deutschland wird also nicht für tägliches Pendeln benötigt - sondern für seltenere Gelegenheitsfahrten wie etwa Einkaufen, Ausflüge oder Fahrten zu Freizeitveranstaltungen. Auch eine steigende Homeoffice-Quote führt zu sinkenden Pendlerzahlen.

Und genau diese Teilmenge ist, grob umrissen, die Zielgruppe für (stationäres) Carsharing: Mehrere Menschen, die nur ab und an ein Auto benötigen, teilen sich eines. Je mehr Carsharing-Fahrzeuge verfügbar sind, desto geringer das Risiko, keines zu bekommen, wenn nötig. Als Daumenwert, für wen sich ein Umstieg lohnt, nennt das UBA Privat-PKWs mit einer Fahrleistung unter 10.000 Kilometern im Jahr.

Nutzung privater PKW in Wiesbaden

Die zitierte Erhebung zur Mobilität in Deutschland gibt die Werte gleichwohl nur für den Landesdurchschnitt wider. Unterscheiden sich diese signifikant von speziell Wiesbadener Autofahrten und -fahrern?

In Wiesbaden sind (Stand 2021) 143.936 PKW gemeldet. Die Stadt hat damit fast so viele PKW wie Haushalte. Der Motorisierungsgrad liegt bei 596 PKW pro 1.000 volljährigen Einwohnern (beziehungsweise 494 PKW pro Einwohner). Damit liegt Wiesbaden zwar unter dem gesamtdeutschen Schnitt - aber über den Werten der meisten, ähnlich großen Städte (Aachen: 390, Mannheim: 401, Augsburg: 406, Mainz: 458).3Details siehe unten.

Mit im Schnitt 3,5 Wegen pro Tag sind Wiesbadener*Innen etwas häufiger unterwegs als der Bundesschnitt (3,1 Wege/Tag). Dafür sind die Wege kürzer - Wiesbadener legen im Schnitt 25 Kilometer am Tag zurück; bundesweit liegt der Schnitt bei 39 Kilometern. Gleichzeitig nehmen die Wiesbadener bei Strecken zwischen 5 und 10 Kilometern etwas häufiger das Auto als die deutschen Großstädter. Auch auf kurzen Strecken ist der Autoanteil in Wiesbaden aber spürbar: 30 % aller Autofahrten sind unter drei Kilometer, jeder zweite Weg unter fünf Kilometer.

Im Schnitt - so die Ergebnisse der Verkehrserhebung der Wiesbadener Bevölkerung 2018 - dauert jeder der 3,5 Wege pro Tag rund 21 Minuten. In Summe verbringen die Bürgerinnen und Bürger knapp 73 Minuten am Tag im Verkehr.4Die Werte zur durchschnittlichen Entfernung und Wegedauer bezeihen sich auf alle Verkehrsmittel. Ob sich die Werte für reine PKW-Fahrten signifikant unterscheiden, ist

Im Schnitt - so die Ergebnisse der Verkehrserhebung der Wiesbadener Bevölkerung 2018 - dauert jeder der 3,5 Wege pro Tag rund 21 Minuten. So verbringt jeder Einwohner im Schnitt knapp 73 Minuten am Tag im Verkehr. 4Die Werte zur durchschnittlichen Entfernung und Wegedauer beziehen sich auf alle Verkehrsmittel. Ob sich die Werte für reine PKW-Fahrten signifikant unterscheiden, ist anhand der Wiesbadener Daten nicht zu ermitteln. Angesichts der oft kurzen Wege, die mit dem PKW zurückgelegt werden, ist eine ähnliche Wegezeit und -entfernung aber durchaus denkbar. Detailliertere Werte aus Mainz stützen diese These.
In Mainz, wo die Wegedauern verkehrsmittelspezifisch dargelegt sind, liegt die durchschnittliche Fahrtdauer pro PKW-Fahrt bei ähnlichen 25 Minuten; die Entfernung mit 14,3 Kilometern aber höher. Damit liegt die Nutzungszeit (=Fahrtzeit) eines PKWs bei knapp 5,1 % des Tages. Wird externes Parken (z.B. bei der Arbeit oder am Supermarkt) mit einberechnet, steigt diese auf immerhin 15,1 %.

Buchungsgrad der Wiesbadener Carsharing-Fahrzeuge

Mit Stichtag 31.12.2021 standen in Wiesbaden 83 stationsgebundene CahrSharing-Fahrzeuge zur Verfügung - vom VW up! bis zum 3er BMW, vom Opel Karl bis zum Opel Movano. Die meisten der 39 Stationen liegen im Westend und Südost, vereinzelte Fahrzeuge stehen aber auch in Bierstadt, Biebrich oder Dotzheim. Der Anteil Menschen, die in Wiesbaden Carsharing grundsätzlich nutzen, hat sich zuletzt mehr als verdreifacht [von 2,5 % (2013) auf 7,9 % (2018)].

Vermietungsdauer nach Standort

Im Schnitt über alle Fahrzeuge sind diese zu 28,6 % der verfügbaren5exklusive Intervalle, in denen die Fahrzeuge zum Beispiel wegen Werkstattaufenthalten nicht verfügbar waren. Zeit vermietet - und damit knapp doppelt so gut ausgelastet wie privat-PKWs.

Die durchschnittliche Auslastung der Stationen variiert nach Standort deutlich zwischen 13 und 49 %. Bis auf zwei liegen aber alle Stationen oberhalb des durchschnittlichen Nutzungsgrades von Privat-Fahrzeugen. Auch auf Fahrzeugebene ergibt sich ein ähnliches Bild: Nur neun der 83 Carsharing-Fahrzeuge sind weniger ausgelastet als das durchschnittliche (!) Privat-Auto. Die neu entlang des 1. Rings eingerichteten Stationen sind mit im Schnitt 34 % überdurchschnittlich gut ausgebucht.

Vermietungsdauer nach Fahrzeugklasse und Wochentag

Die Dauer der einzelnen Buchungsvorgänge zeigt weder im Wochenverlauf noch mit Differenzierung der Fahrzeugklassen überraschende Schwankungen. An Frei- und Samstagen gibt es mehr Ausreißer nach oben - diese reichen aber nicht, um den Median signifikant anzuheben. Auch scheint es bei den Transportern und Kleinbussen weniger extrem lange Buchungen zu geben - die Datengrundlage ist hier wegen der geringen Fahrzeugzahl aber auch recht dünn.

Die Boxplots stellen die Quartile (25 %, 50 %, 75 %) sowie die Ausreißer (5 %, 95 %) dar. Buchungen unter 30 Minuten wurden ignoriert.

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Motorisierungsgrad im Vergleich

StadtPrivat-PKW pro 1.000 Einwohner Privat-PKW pro 1.000 volljähriger Einwohner Quelle
Wiesbaden494596wiesbaden.de
Mainz458536statistik.rlp.de
Frankfurt454 545hessenschau.de
Augsburg406479augsburg.de
Mönchengaldbach536635rp-online.de
Mannheim401401mannheim.de
Aachen390450aachen.de
Hessen (gesamt)584 702mobileshessen2030
Deutschland (gesamt)517611
Ø Metropolregion394MiD 2017, S. 69
Ø Regiopole/Großstadt473MiD 2017, S. 69
Motorisierungsgrade werden in verschiedenen Quellen uneinheitlich berechnet - mal auf Basis der volljährigen Einwohner, mal auf Basis aller Einwohner. Auch, ob die Gesamtzahl Fahrzeuge (inkl. Motorräder, Transporter, LKW, ...) oder nur die (privat genutzten) PKW in die Berechnung einfließen, ist unterschiedlich. Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind die Werte oben "private PKW pro 1.000 Einwohner".

mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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