Die Kreuzung am Michelsberg ist aus gleich mehreren Gründen einen genaueren Blick wert. Meistens sind diese Gründe Probleme, die sich irgendwie entwickelt haben und sich bei den Nutzern irgendwie eingeschliffen haben.

Die Kreuzung, an der sich Schwalbacher Straße, Emser Straße und Coulinstraße treffen, ist gleichzeitig das Dreiländereck der Stadtbezirke Westend, Mitte und Nordost. Ehrlicherweise muss aber auch die Platter Straße aufgezählt werden – beide sind nur knapp 50 Meter voneinander entfernt und so aus verkehrlicher Sicht nur sinnvoll gemeinsam zu betrachten.

In der Kategorie was wäre wenn versammeln sich Artikel, die Lösungsmöglichkeiten rund um den Verkehr darlegen. Dabei kommt es auch vor, dass eine auf den ersten Blick charmante Konzept am Ende doch nicht viel taugt – die Darlegung der Zusammenhänge und Pro-Contra-Argumente erlaubt aber dennoch einen Blick hinter die Kulissen – und trägt so hoffentlich zum Verständnis bei.

„Stadt der kurzen Wege“ ist sicherlich anders gemeint: Wer hier mit einem Rad oder Kinderwagen wartet, ragt vorn und hinten in die Fahrspuren.

Die Kreuzung hat ihre Schwächen vor allem aus Fußgänger- und ÖPNV-Nutzer-Sicht. Um beispielsweise von der Fußgängerzone in die Platter Straße zu laufen, müssen zwei Zebrastreifen und fünf (künftig sechs) Ampeln überkreuzt werden. Die Fußgängerinsel, zwischen dem Linksabbieger in die Emser Straße und der südwärts-Fahrspur der Schwalbacher ist nur knapp länger als zwei Meter – viel zu kurz für beispielsweise ein geschobenes Fahrrad oder einen Kinderwagen.

Aus all den kleinen Problemen dieser Kreuzung picken wir uns hier eines raus und beleuchten eine mögliche Lösung: Die Bushaltestelle der Linie 6 in Richtung Norden.

Glücksspiel Barrierefreiheit

Diese Bushaltestelle hat zwei Schwachstellen. Zum Einen ist der Bürgersteig (und damit der Bussteig) an dieser Stelle recht schmal: Knappe drei Meter sind zu wenig, wenn neben den wartenden, ein- und aussteigenden auch noch Fußgänger unterwegs sind oder Kunden für den ansässigen Kiosk. Zumal auch das Haltestellenschild und die Poller ihren Platz brauchen. Doch mit zu engen Bürgersteigen ist die halbe Innenstadt gesegnet.

Schwerer wiegt hier die mangelhafte Barrierefreiheit. Denn ob der einschwenkende Gelenkbus überhaupt die Bordsteinkante erreicht, ist oft ein Glücksspiel. Problematisch sind hier die häufig anzutreffenden Falschparker/-halter oder sonstigen Hindernisse, wie zur Abholung rausgestellte Mülltonnen), die am Ende der Haltestelle stehen und damit notwendigen Platz zum Ausschwenken blockieren. Die Folge: Der Bus kann nicht vollständig einschwenken, zwischen Bus und Kante klafft eine Lücke. Im schlimmsten Fall öffnen die hintere(n) Tür(en) mitten auf der Kreuzung.

Ein eingeschwenkter Bus an guten Tagen: Der Haltestellenbereich und darüber hinaus ist frei – bis ganz an die Kante bleibt trotzdem schwierig.
Durch ein Hindernis (hier: Falschparker) hat der Bus nicht genug Platz zum Ausschwenken

Die meist nur kurzzeitig falsch haltenden PKWs an dieser Stelle sind zu schnell wieder weg, um sie mit einem Knöllchen zu beglücken. Fehlverhalten mit negativen Folgen für die ÖPNV-Nutzer bleibt an konkret dieser Stelle also allzuoft ungeahndet, das Problem bestehen.

Oben: Haltestelle als Bucht, unten als Kap.

Aus: Leitfaden zum barrierefreien Ausbau von Bushaltestellen. KVV.

Von der Bucht zum Kap

Eine Lösung für diese Problematik (und auch die des schmalen Bürgersteigs) ist: Die Bushaltestelle zum Kap machen. Im Gegensatz zur heutigen Ausführung als Bucht, in der der Bus zum Bürgersteig fahren muss, kommt der Bürgersteig beim Kap einfach zum Bus. Für eine differenziertere Betrachtung „Kap und Bucht“ verweise ich an dieser Stelle mal an die Stadtwerke Münster.1Genau genommen ist die Haltestelle am Michelsberg auch keine Bucht, sondern eine Haltestelle am Fahrbahnrand mit Längsparkstreifen. Der benötigte Platz zum Ausschwenken bleibt aber vergleichbar.

Der Status Quo: Fahrspuren (grau), der Schwenkbereich der Busse (rot) sowie ein maßstabsgerechter Gelenkbus (grün).

Et voilà: Das Kap. Der Effekt liegt auf der Hand: Ein Bus, der nicht einschwenken muss, ist nicht darauf angewiesen, dass dafür genügend Platz da ist. Er fährt einfach gerade den die Bussteig. Das ist nicht nur für den Bus einfacher – der frei werdende Platz kann grundsätzlich anderweitig genutzt werden – zum Beispiel für Parkplätze oder Radbügel.

Die Ausführung als Kap hat allerdings auch Nachteile: Der Bus hält mitten auf der Fahrbahn, Fahrzeuge hinter ihm müssen dann warten oder auf die zweite Spur ausweichen). Ob das allerdings ein praktisches Problem ist – oder eben nur ein theoretisches, weil der Bus durch den fehlenden Einschwenkraum ohnehin mit dem Hintern in die Spur ragt – sei jetzt mal dahingestellt.

Haltestelle verschieben nach oben/nach unten

Warum es wohl dennoch nichts wird

Das Kap – so charmant es auf die ersten Blicke wirkt – wird hier aber eher nichts. Denn: Mit einer Länge von 18,75 Metern [so lang ist ein Gelenkbus] passt ein Kap dort nicht hin – dafür liegen die beiden Hauseinfahrten zu dicht beieinander.

Zwischen den beiden Ausfahrten der Hausnummern 67 und 69 liegen knapp 14 Meter – zu kurz für einen 18-Meter-Gelenkbus.

Die Haltestelle weiter nach oben zu verschieben, in etwa auf Höhe des Restaurants, löst zwar dieses Problem – wirft aber zwei weitere auf. Die Haltestelle wäre dann noch weiter von der Fußgängerzone entfernt. Gleichzeitig wäre das vorbeifahren am haltenden Bus durch die Ampel zur Platter Straße dort schwieriger.

Alternativ ließe sich die Haltestelle auch nach unten verlagern – also in Fahrtrichtung betrachtet vor die Kreuzung. Allerdings lägen die mit im Schnitt heute schon nur 240 Meter voneinander entfernten Bushaltestellen auf der Schwalbacher Straße dann noch dichter aneinander. Fast schon zu dicht.

Vielleicht geht damit auch eine größere Neuordnung der Bushaltestellen einher. Eine, die beispielsweise zwischen Landesbibliothek und Michelsberg auf 700 Metern „nur“ noch drei statt heute vier Bushaltestellen hat.

Die Kreuzung erfordert aber ohnehin eine gesamthaftere Lösung als die Verlegung einer einzelnen Bushaltestelle. Die anstehende Umgestaltung der Schwalbacher Straße wird sich ohne Zweifel auch auf die Kreuzung am Michelsberg auswirken. Baumaßnahmen an der Bushaltestelle davor wären also womöglich sogar kontraproduktiv.

Es wirkt fast so, als hätte es einen Grund, warum die vielen kleinen Schwachstellen der Schwalbacher Straße noch nicht angefasst wurden. Die Straße ist ein komplexes Vorhaben.


mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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[…] Auch bezieht sich die Barrierefreiheit hier ausschließlich auf die Gestaltung der Haltestelle (Bordsteinhöhe, taktile Elemente, …). Dabei spielen weitere Rahmenbedingungen aber auch eine Rolle – wie gut der Bus beispielsweise die Bordsteinkante überhaupt anfahren kann. […]

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