Wahlkampfzeit ist Versprechenszeit. Quartiersgaragen sind in aller Munde, der Garagenfonds soll’s richten. Grund genug, diesen mal genauer zu durchleuchten – woher kommt das Geld, wohin fließt es und wie viel ist es überhaupt?

Zur Rechtsgrundlage

Die Rechtsgrundlage für den gemeinhin als Garagenfonds bezeichneten Topf legt die Hessische Bauordnung:

Die Gemeinden legen unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrsverhältnisse fest, ob und in welchem Umfang bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen oder sonstigen Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abgangsverkehr zu erwarten ist, geeignete Garagen oder Stellplätze für Kraftfahrzeuge und Abstellplätze für Fahrräder errichtet werden müssen, um den Erfordernissen des ruhenden Verkehrs zu genügen (notwendige Garagen, Stellplätze und Abstellplätze). 
Sie können insoweit durch Satzung regeln (...) die Ablösung der Herstellungspflicht in den Fällen der Nr. 1 bis 3 durch Zahlung eines in der Satzung festzulegenden Geldbetrages an die Gemeinde.

§ 44 (1) HBO - Garagen, Stellplätze für Kraftfahrzeuge, Abstellplätze für Fahrräder

Entsprechend hat die Landeshauptstadt 2008 eine Satzung über Stellplätze und Garagen für Kraftfahrzeuge sowie Abstellplätze für Fahrräder (Stellplatzsatzung) erlassen. Diese Regelt die Wiesbaden-spezifischen Anforderungen an Anzahl und Art von Stellplätzen. So werden beispielsweise für Mehrfamilienhäuser 1,5 PKW-Stellplätze pro Wohnung gefordert, für Kinos ein Radstellplatz pro 15 Sitzen, Minigolfanlagen pauschal sechs PKW-Stellflächen, Bordelle ein Fahrradstellplatz pro 25 Quadratmeter Nutzfläche. Tankstellen benötigen mindestens drei PKW-Stellplätze, aber keine Fahrradständer - KFZ-Werkstätten hingegen schon.

Berechnung der Stellplatzablöse

Nicht immer können die geforderten Stellplätze errichtet werden. Gemäß HBO erlaubt die Wiesbadener Stellplatzsatzung ein freikaufen von dieser Pflicht - beispielsweise wenn der Bau von Stellplätzen "aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist". Das Geld fließt in einen zentralen Topf, mit dem die Stadt investive Maßnahmen im Verkehr finanziert: Der Garagenfonds.

Die Höhe des Ablösebetrags ist abhängig von Bodenrichtwert - also dem Preis für Grund und Boden im Bereich des Baugrundstücks. Konkret errechnet er sich:

Ablösebetrag = (Grundstückskosten + Herstellungskosten) x 0,60.

§ 5 Ablösung der Herstellungspflicht, Stellplatzsatzung LH Wiesbaden

Für die Grundstückskosten wird pauschal pro PKW-Stellplatz ein Flächenbedarf von 25 Quadratmetern zugrunde gelegt. Für die Herstellungskosten gibt die Satzung pauschal durchschnittlich 2.500 EUR an.

Der Ablösebetrag ist auf maximal 30.000 EUR pro PKW-Stellplatz gedeckelt - so viel kostet in etwa ein Stellplatz in einem neu zu bauenden Parkhaus. Die Stellplatzablöse für geforderte Fahrrad-Stellplätze ist hingegen nicht geregelt.

Verwendung des Garagenfonds

Der landläufige Titel Garagenfonds ist etwas irreführend - denn das Geld darf eben nicht nur für die Errichtung von Parkanlagen verwendet werden. Ferner erlaubt die HBO ausdrücklich die Verwendung für weitere Maßnahmen, die den (PKW-)Stellplatzbedarf verringern - konkret investive Maßnahmen im Bereich Radverkehr und ÖPNV.

(2) 1Der Geldbetrag nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ist zu verwenden für
1. die Herstellung zusätzlicher Parkeinrichtungen zugunsten des Gemeindegebietes,
2. die Unterhaltung bestehender Parkeinrichtungen,
3. investive Maßnahmen des öffentlichen Personennahverkehrs oder
4. investive Maßnahmen des Fahrradverkehrs.

§ 44 (2) HBO

Wiesbaden: Umfang des Garagenfonds

Im Wiesbadener Garagenfonds liegen aktuell (Stand 31.12.2019) knapp über 14 Millionen Euro. Damit lassen sich viele Versprechungen machen und gute Wahlkämpfe führen. Doch ein Blick in die Details zeigt: so üppig fällt der Fonds dann doch nicht aus.

Denn von den knapp 14 Millionen Euro sind 6,3 Millionen Euro geblockt für Maßnahmen, die die Stadt im Jahr 2019 beschlossen, aber noch nicht umgesetzt hat - beispielsweise 1,7 Millionen Euro für die Erweiterung des P+R-Parkplatzes Kahle Mühle. Weitere 2,5 Millionen Euro sind zweckgebunden für die (neu zu errichtenden) Parkhäuser am Alten Arbeitsamt und "im Bereich Europaviertel".

Für 2020 haben die Wiesbadener Ämter weitere 3,2 Millionen Euro Bedarf angemeldet - davon 1,9 Millionen für das Wiesbadener Radwegeprogramm, 1,25 Millionen für das Parkplatzprogramm und 100.000 Euro für den barrierefreien Umbau von Bushaltestellen. Die Maßnahmen sollten entsprechend 2020 beschlossen und die folgenden Jahre sukzessive umgesetzt werden.

Unterm Strich bleiben so (Stand Juni 2020) knapp 3,8 Millionen Euro freie Mittel - das reicht für ein Drittel Parkhaus.

In den letzten 10 Jahren sind im Schnitt 650.000 Euro jährlich aus dem Fonds entnommen worden, im Schnitt 850.000 Euro zugeflossen und führten so zu einem Zuwachs des Fonds. Angesichts des nicht zu leugnenden Investitionsrückstaus im barrierefreien Ausbau der Bushaltetellen, der Wiesbadener Radinfrastruktur und den anstehenden Ausbauten der P+R-Kapazitäten ist es aber auch nicht verwerflich, hier einen Puffer aufzubauen.

Wiesbaden: Verwendung des Garagenfonds

Dank eines Antrags der SPD-Rathausfraktion im April 2008 (08-F-01-0041) finden sich im PiWi jährliche Berichte zu (u.a.) der Entwicklung und Verwendung der Mittel des Garagenfonds. Gemäß den oben genannten Einsatzbereichen (Parkplätze, Radverkehr, ÖPNV) lassen sich diese dann clustern. In den Jahren 2008 bis 2019 floss knapp die Hälfte der Ausgaben in den Bereich Parkplätze & ruhender Verkehr, ein Drittel in die Radverkehrsinfrastruktur und 20% in den Ausbau von Bushaltestellen.

Ausgaben aus dem Wiesbadener Garagenfonds gemäß jährlichem Bericht. Für 2020 sind die angemeldeten Maßnahmen zugrundegelegt. Wieviel davon tatsächlich im Jahr 2020 abfließt, ist (noch) offen.

Achtung: Meinung

Wer glaubt, aus den Mitteln des Garagenfonds Wiesbaden mit Quartiersgaragen versorgen und damit das Parkplatzproblem lösen zu können, gaukelt seinen Zuhörern was vor. Und behandelt eher Symptome als Probleme.

Ein Stellplatz in einer Quartiersgarage kostet im Bau zwischen 20.000 und 25.000 Euro.1Das ist der durchschnittliche Preis in den aktuell geplanten Parkhäusern Altes Arbeitsamt, Klarenthaler Straße und Berliner Straße. Selbst wenn 100% der Einnahmen des Garagenfonds in den Bau von Quartiersgaragen fließen (und damit nicht mehr in den ÖPNV und den Radverkehr): Die jährlichen Einnahmen des Fonds von im Schnitt 850.000 EUR reichen für 34 (!) Quartiersgaragen-Stellplätze. Und das beantwortet noch nicht die Frage nach dem Standort - in der dicht besiedelten Innenstadt nachträglich hereingebaute Stellplätze gern auch das Doppelte.

Das geplante Parkhaus an der Klarenthaler Straße kostet 9,3 Millionen Euro. Das am Alten Arbeitsamt fünf bis sechs Millionen Euro, das an der Berliner Straße je nach Ausführung zwischen 16 und 37 Millionen Euro.

In den letzten fünf Jahren sind im Rheingauviertel 825 Autos hinzugekommen - das sind 165 pro Jahr. Alle zwei Jahre ein zusätzlicher, Elsässer (Park-)Platz. Im Westend waren es 70 pro Jahr, in Biebrich gar 580 zusätzliche Autos, jedes Jahr. Allein um die neuen Autos im Rheingauviertel in Quartiersgaragen unterzubringen, müsste im RGV alle zweieinhalb Jahre ein neues Parkhaus wie jenes, das grade an der Klarenthaler Straße geplant wird, gebaut werden. Allein für das Rheingauviertel würde der Bau dieser Quartiersgaragen fünf Mal so viel Geld benötigen, wie jährlich in den (Gesamt-Wiesbadener!) Garagenfonds fließt.

Ohne Frage können (und müssen!) Quartiersgaragen an einzelnen Stellen für Entlastung sorgen. Wer aber glaubt, damit die Parkplatzprobleme der dicht besiedelten Viertel nachhaltig lösen zu können, schießt massiv daneben - auf Kosten aller.

Ich versuche, in diesem Blog die dargestellten Fakten weitestgehend von meiner persönlichen Meinung zu trennen - daher dieser hoffentlich eindeutig als solcher erkennbarer Disclaimer.

Quellen & Hintergründe

Kategorien: Autoverkehr

mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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[…] Die Pressemitteilung fand beispielsweise bei wiesbadenAktuell oder dem Wiesbadener Kurier ihren Anklang. Der Tenor blieb in beiden Fällen unverändert: Maßnahme zur Verbesserung des Radverkehrs, Kosten jeweils rund eine Million Euro. Auch die offiziellen Sitzungsvorlagen lassen mit ihren Titeln („Klarenthaler Straße – Aktualisierung Radverkehrsanlagen“ bzw. „Hochheimer Straße – Einrichtung einer Radverkehrsanlage„) auf den Radverkehr als Verursacher der Kosten schließen. Finanziert werden sie auch ganz oder teilweise aus Radverkehrsmitteln, die sich unter anderem aus dem Garagenfonds speisen. […]

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