Es war ein Paukenschlag – zumindest innerhalb der kleinen Anwohnerparken-Szene. Im Juli 2020 wurden die Bundesländer durch die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes ermächtigt, den bis dato einheitlich geregelten Gebührenrahmen für Anwohnerparken selbst in die Hand zu nehmen – oder gar an die Städte und Kommunen weiter zu delegieren.

TL;DR: Das Bewohnerparken ist nur in einer deutschen Großstadt billiger als in Wiesbaden: in Berlin. Der Großteil bewegt sich mit rund 30 Euro jährlich in etwa drei Mal so hoch wie Wiesbaden. Die Tendenz wird in vielen Städten nach oben gehen, die meisten Bundesländer haben die dafür notwendigen Verordnungen schlichtweg noch nicht erlassen.

In der Folge entbrannten in deutschen Städten umfangreiche Diskussionen zur künftigen Gestaltung der Anwohnerparkgebühren. Das wohl prominenteste Beispiel Tübingen machte bundesweit durch eine Staffelung nach Gewicht der Autos Schlagzeilen: SUV-Fahrer zahlen mehr fürs Parken.

Bewohnerparken in Wiesbaden

Die Straßenverkehrsordnung führte die Möglichkeit des Anwohnerparkens 1980 ein, die Straßenverkehrsbehörden wurden im überarbeiteten §45 1b ermächtigt, die "Parkmöglichkeiten für Anwohner" zu ordnen. Acht Jahre später folgte die erste Anwohnerparkzone in Wiesbaden, erweitert um weitere Zonen 1992 und 1993.

1998 erklärte das Bundesverwaltungsgericht infolge mehrerer Rechtsstreits über die Jahre die Anwohnerparkregelung in der bis dato gelebten Praxis für ungültig. Der Begriff des Anwohners, so die Begründung, setzt eine direkte, räumliche Nähe von Parkplatz zu Wohnung voraus, der nicht mehr als zwei oder drei Straßen umfassen dürfe.

Die mosaikartige, flächendeckende Überspannung der ganzen Innenstadt sei nicht mit dem StVG vereinbar. Tausende Schilder für hunderte Zonen wurden damit über Nacht nichtig. 2002 erfolgte schließlich eine Überarbeitung des Straßenverkehrsgesetzes. Aus "Anwohner" wurde "Bewohner" - das Problem damit aus der Welt.

Einfach überklebt: Aus Anwohner wird Bewohner.
(Graf Foto, Bewohnerparken, cropped, CC BY-SA 3.0)

Heute sind in den Wiesbadener Bezirken Mitte, Westend, RGV, Südost und Nordost insgesamt 19 AnBewohnerparkzonen eingerichtet. Eine Ausdehnung auf beispielsweise Kastel ist in der Diskussion.

Mit 11,75 EUR im Jahr ist der Bewohnerparkausweis in Wiesbaden günstiger als in den anderen, deutschen Großstädten. Nur in Berlin ist der Ausweis mit knapp 10 Euro günstiger - zumindest noch.

Für die Stadt Wiesbaden sei dieser Betrag kostendeckend - so der Bericht von Bürgermeister Oliver Franz im Juni 2020. Materialkosten, Transaktionsgebühren, Arbeitsplatz- und Personalkosten zur Ausstellung beliefen sich auf 7,46 Euro pro Ausweis.

Anforderungen an Bewohnerparkzonen

Die Anforderungen an Bewohnerparkzonen sind hoch - die StVO-VwV stellt hier einige Kriterien zusammen. Das Bewohnerparken darf nur in Bereichen mit nachweisbarem, erheblichen Parkdruck. Daran hängt auch ein Mangel an privaten Stellflächen. Gleichzeitig muss die Hälfte der Parkplätze zwischen 9:00 und 18:00 Uhr der Öffentlichkeit weiter offen stehen - beispielsweise über Parkscheibenregelungen oder bewirtschaftete Parkplätze.

Der Nachweis des Parkdrucks erfordert klassische Feldarbeit: Erhebungen, Befragungen, Zulassungsstatistiken. Gleichzeitig muss die geografische Nähe von Parkplatz zur Wohnung gewahrt bleiben - die Ausdehnung der Zonen daher in der Regel nicht größer als 1.000 Meter.

Situation in Deutschland

Der Gesetzesnovelle des StVG voraus gingen entsprechende Forderungen des Deutschen Städtetages. Die bisherige Obergrenze, 30,70 EUR, deckten nicht den Aufwand der Städte für Ausweise, Beschilderungen und Markierungen. (Die Betrachtung geht also weiter als die obige Berechnung der Stadt Wiesbaden.). Darüber hinaus würde eine kommunale Regelung auch der Bedeutung der Bewohnerparkgebühren als verkehrspolitischem Instrument entsprechend Rechnung tragen.

Bisher haben (meiner Übersicht nach) zwei Bundesländer die entsprechenden Delegationsverordnungen erlassen: Baden-Württemberg1https://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jlr-PGebVBW2021rahmen&psml=bsbawueprod.psml&max=true und Hamburg. Entsprechend bewegen sich die Gebühren in den meisten Kommunen noch immer in dem bundeseinheitlichen Kostenrahmen.

Von den 80 deutschen Großstädten über 100.000 Einwohner haben aktuell nur zwei ihre Bewohnerparkgebühren signifikant erhöht: Hamburg (auf 50 EUR/Jahr) und Heidelberg (36 EUR/Jahr). 67 Städte erheben aktuell 30,70 EUR (bzw. den deutlich runderen Betrag von 30 EUR).

Expresstour durch die Rechtsgrundlagen

Die Reise durch die Rechtsgrundlagen des AnBewohnerparkens führt durch die verschiedensten Ebenen der Bundes- und Landesgesetzgebung. Die Grundlage wird im Straßenverkehrsgesetz gelegt, welches das Bundesverkehrsministerium ermächtigt, das Thema Bewohnerparken per Verordnung zu regeln:

(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen:
...
15. die Beschränkung des Straßenverkehrs einschließlich des ruhenden Verkehrs
...
b) zugunsten der Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel,

§ 6 (Verordnungsermächtigungen) StVG

Die dazugehörige Verordnung des Bundesverkehrsministeriums - die Straßenverkehrsordnung - führt entsprechend aus:

(1b) Die Straßenverkehrsbehörden treffen auch die notwendigen Anordnungen
...
2a. im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel durch vollständige oder zeitlich beschränkte Reservierung des Parkraums für die Berechtigten oder durch Anordnung der Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen,

§ 45 (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen) StVO

Die zur StVO gehörige Verwaltungsvorschrift (StVO-VwV) detailliert die Anforderungen an die Einrichtung einer solchen Zone. So fordert diese beispielsweise:

Die Anordnung von Bewohnerparkvorrechten ist nur dort zulässig, wo mangels privater Stellflächen und auf Grund eines erheblichen allgemeinen Parkdrucks die Bewohner des städtischen Quartiers regelmäßig keine ausreichende Möglichkeit haben, in ortsüblich fußläufig zumutbarer Entfernung von ihrer Wohnung einen Stellplatz für ihr Kraftfahrzeug zu finden.

X. 1 (Bewohnerparkvorrechte) StVO-VwV

Wie sich dieser erhebliche Parkdruck äußert, wird in den folgenden Absätzen der StVO-VwV ebenfalls spezifiziert. Bis zum Juli 2020 galt dafür die bundeseinheitliche Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Konkret regelte diese in Abschnitt 2, Punkt 265, einen Gebührenrahmen von 10,20 bis 30,702"30,70 Euro" ist ein trotz seiner Krummheit überraschend häufig in der Gebührenordnung vorkommender Wert. Euro im Jahr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises.

Mit der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes im Juli 2020 hat sich dieses grundlegend geändert. Denn mit dem neuen Absatz 5a werden die Bundesländer ermächtigt, den Gebührenrahmen (a) selbst festzusetzen oder gar (b) an die Kommunen weiter zu delegieren.

(5a) Für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel können die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren erheben. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen. In den Gebührenordnungen können auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. In den Gebührenordnungen kann auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen werden.

§ 6a (Gebühren) StVG

Entsprechend wurde auch die Gebührenordnung des Bundes um einen entsprechenden Absatz erweitert:

(3) Die Gebühren-Nummer 265 der Anlage ist nicht anzuwenden, soweit
1.die Landesregierung eine Gebührenordnung nach § 6a Absatz 5a Satz 1 bis 4 des Straßenverkehrsgesetzes erlässt oder
2. diese Ermächtigung an einen anderen Rechtsträger nach § 6a Absatz 5a Satz 5 des Straßenverkehrsgesetzes weiter übertragen wird und soweit dieser auf dieser Grundlage eine Gebührenordnung erlässt.

§ 6 (Übergangs- und Anwendungsbestimmungen) GebOst

Kategorien: Autoverkehr

mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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[…] selbst zu regeln. Bis dato lag die bundeseinheitliche Obergrenze bei 30,70 EUR – viele Städte reizten das auch aus. Einige Bundesländer, darunter auch Hessen, haben diese Freiheiten per Delegationsverordnung an […]

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