Die Wiesbadener Umweltspur sorgt für einen stabilen, zuverlässigen Busverkehr. Das ließ sich schon am Tag des Kollapses der Salzbachtalbrücke eindrücklich belegen. Damals zeigte sich im direkten Vergleich zwischen Buslinien mit Bus-/Umweltspur und Buslinien ohne eigene Spur ein signifikanter Unterschied in der Pünktlichkeit, drastisch verstärkt durch das allgemeine Verkehrschaos infolge der abgesackten Brücke.

Unterschiedliche Linien im selben Zeitraum zu vergleichen ist eine Möglichkeit des Nachweises, dieselben Linien zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine weitere. Und das führt direkt zum Thema dieses Artikels: Falls die Umweltspur auf dem 1. Ring für zuverlässigen Busverkehr sorgt, müssten dieselben Linien unzuverlässiger werden, wenn die Umweltspur gestört ist – etwa durch eine Baustelle.

Baustellen gibt es in Wiesbaden zum Glück genug, um diesen Beweis anzutreten. Als konkretes Beispiel sollen hier die Kanalbauarbeiten zwischen Bleichstraße und Dotzheimer Straße dienen. Diese starteten am 22. August 2021 und zogen sich über mehrere Wochen bis Ende Oktober 2021. Durch die Länge der Baustelle über mehr als zwei Monate scheiden kurzfristige Einflüsse (Ferien, Unfälle) aus.

Die Baustelle betraf den Bismarckring in Fahrtrichtung Hauptbahnhof. Sie betraf (mit Ausnahme einer Abbiegespur) die Umweltspur, die in diesem Bereich unterbrochen werden musste.

In der Folge wurden viele Buslinien umgeleitet und fuhren einen Bogen über die Klarenthaler Straße. Nur die Linie 1 blieb auf dem 1. Ring und musste sich die verbleibende Fahrspur mit dem MIV teilen.

♫ Stau, Stau, Stau, sind alle meine Straßen ♪ – Ein Blick auf den 1. Ring während der Kanalbauarbeiten zwischen Bleich- und Dotzheimer Straße.

Von Verspätungen betroffen sind demnach die Busse der Linie 1 – in Fahrtrichtung Nerotal. Ein Blick auf die Ist-Verspätungen der Busse zeigt einen sprunghaften Anstieg zum Start der Baustelle – am 22. August 2021. In den ersten zwei Wochen nach Baustellenstart war bis zu jeder zweite Bus in Fahrtrichtung Hauptbahnhof spürbar verspätet. In den folgenden Wochen sank die Rate auf nur knapp jeden dritten Bus. Spürbar pünktlicher waren die Fahrten in dieser Zeit nur am Wochenende.

Doch nicht nur im Wochenverlauf - auch im Tagesverlauf schwankte die Zuverlässigkeit spürbar. Wenig überraschend waren die Busse in den Phasen, in denen auch viele Autos unterwegs waren, am unpünktlichsten: In der morgendlichen Stoßzeit (zwischen 7 und 9 Uhr) sowie nachmittags (16 bis 18 Uhr). Hier war während der Baustelle über die Hälfte der Fahrten unpünktlich.

Ohne Baustelle

Mit Baustelle

Die Baustelle hat durch ihre Unterbrechung der Umweltspur die Fahrten der Linie 1 also spürbar unzuverlässiger gemacht. Mehr als die Hälfte der Busse war in den Stoßzeiten mehr als fünf Minuten zu spät am Bahnhof. Fünf Minuten klingen nicht viel, können aber über "Schaff ich den Zug oder nicht" entscheiden. Bei 20- bzw. 30-Minuten-Takten ist verpassen eine ärgerliche Folge.

Dass der Hauptbahnhof in der Zeit zufällig ohnehin nicht nutzbar war, weil kaum Züge fuhren, ist zwar korrekt. Insofern ließe sich überspitzt sagen, "Gut, dass die Baustelle während des Salzbachtalbrücken-Chaos war" - zumindest aus Sicht der ÖPNV-Pendler. Für Autonutzer war die Einschränkung nicht so erfreulich. Nichtsdestotrotz: für das Aufzeigen der Auswirkung der Baustelle auf die Busverspätung ist das aber unerheblich.


mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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