Der Busverkehr ist trotz (oder wegen?) seiner zentralen Bedeutung als Rückgrat des Wiesbadener ÖPNV weiter unter Druck. Die fehlende Salzbachtalbrücke sorgt für mehr Verkehr auf den Straßen und damit für steigende Unpünktlichkeit. Auch durch Covid-19 stieg der Krankenstand in der Belegschaft. Von rund 750 Busfahrern waren zuletzt knapp 100 krankgemeldet. Hinzu kommt eine hohe Fluktuation und ein knirschendes Betriebsklima – Dutzende Stellen sind unbesetzt. „Die Großbaustelle ist das Unternehmen selbst.“ schrieb Oliver Bock in der FAZ Ende August. 850 Fahrer brauche es für einen stabilen Betrieb – rund 200 mehr als derzeit zur Verfügung stünden. In der Folge schnellten die Fahrtausfälle in die Höhe.
- Mit Reduktion des Fahrplans Anfang September haben sich die Bus-Abfahrten am Wiesbadener Hauptbahnhof von rund 2.200 auf 1.600 Fahrten am Tag reduziert.
- Während im Juli und August im Schnitt 100 Fahrten am Tag ausfielen, sank die Anzahl Ausfälle für die ersten beiden September-Wochen bislang auf rund 20 Abfahrten am Tag.
- Parallel dazu hat sich die Pünktlichkeit1Jeder Bus mit weniger als fünf Minuten Verspätung wurde als Pünktlich deklariert. verschlechtert. Waren im August noch 93% der (fahrenden) Busse pünktlich, sank der Wert für die ersten zwei Septemberwochen auf 78%.
- Die verschlechterte Pünktlichkeit hat mehrere Ursachen; ein Hauptfaktor war die Sperrung der Mainzer Straße am 06. September – jeder Dritte Bus fuhr an diesem Tag unpünktlich am Hauptbahnhof ab.
Anfang September zog die ESWE Verkehr dann die Reißleine: Durch eine Reduktion des Fahrplans soll das Angebot stabilisiert werden. Lieber zuverlässig als häufig sollen die Busse nun kommen. Mit Erfolg? Wir werfen einen Blick auf die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Busse im Jahresverlauf.
Anzahl Fahrten
Am Wiesbadener Hauptbahnhof fahren im regulären Fahrplan werktäglich zwischen 2.200 und 2.300 Busse ab. Der Fahrplan sinkt samstags auf rund 1.400 Abfahrten, sonntags schließlich auf knapp 1.000. Nicht alle Busse sind dabei von der ESWE; neben der MVG verkehren auch mehrere Verkehrsgesellschaften mit Überlandlinien beispielsweise in den Rheingau-Taunus-Kreis. Nicht enthalten sind am Hauptbahnhof endende Busse.
Deutlich sichtbar ist die Fahrplanreduktion Anfang September; die werktäglichen Abfahrten sanken dadurch auf rund 1.600 Fahrten. Die Wochenenden blieben unverändert. Die Differenz zwischen dem angekündigten, jeden Tag geltenden Samstagsfahrplan und dem tatsächlichen Samstagsfahrplan erklärt sich durch (a) die zusätzlichen Verstärkerfahrten sowie (b) durch die Fahrten anderer Busgesellschaften, die ihren Fahrplan nicht reduzierten.
Nicht für alle Abfahrten lagen im Abfragezeitraum live-Daten vor. Diese fehlen vor allem bei den Linien 3, 33 und 6 (konkret bei den Mainzer Bussen) sowie den meisten Überland-Linien. Die Quote an Bussen ohne Live-Daten liegt bei stabil um die zehn Prozent. Ob diese pünktlich, verspätet oder gar nicht fuhren, ist damit nicht bekannt.
Ausfallende Fahrten
"Täglich fallen 100 Fahrten aus" titelte die FAZ Ende August. Im Schnitt vermochte das zu stimmen; die tatsächliche Zahl lag in den Wochen zuvor an vielen Tagen aber höher.2Die FAZ bezog sich offensichtlich auch rein auf die ESWE-Fahrten; die Ausfälle unten beinhalten aber auch andere Verkehrsgesellschaften.
Unterm Strich nahmen die Fahrtausfälle ab dem Juli 2022 drastisch zu; seit Beginn September scheint sich die Anzahl der Ausfälle wieder spürbar zu sinken.
Pünktlichkeit der fahrenden Busse
Neben der Frage "Fährt der Bus überhaupt" ist die zweite nach der Pünktlichkeit der fahrenden Busse ebenfalls relevant. Durchschnittswerte der Bus-Verspätungen zeigen auch unabhängig der ESWE-Fahrplanreduktion typische Muster: Sie sind am Wochenende in der Regel geringer als werktags; sie sind nachts und mittags meist geringer als in den Stoßzeiten. Beides ist nicht überraschend und kausal direkt mit dem Aufkommen an Fahrgästen (und weiteren Verkehrsteilnehmern - der Anzahl Autos) verknüpft. Den Tages- und Wochenverlauf analysierten wir exemplarisch für einige Linien bereits.
Die durchschnittliche Verspätung der abfahrenden Busse bewegte sich im Jahresverlauf durchweg im Bereich zwischen einer und zwei Minuten - wohlgemerkt mit drastischen Schwankungen im Tagesverlauf. Seit Ende August ist diese jedoch sichtbar höher und erreicht ein Niveau, das zuvor nur in einigen Wochen im Mai erreicht wurde. Auffälliger Spitzenreiter mit einer durchschnittlichen Abfahrtsverspätung von acht Minuten ist der 06. September - der Dienstag, an dem die Salzbachtalbrücke eingeschoben wurde und damit die Mainzer Straße als Hauptverkehrsachse ganztägig gesperrt.
Vermutlich liegt die im September gesunkene Pünktlichkeit in mehreren Ursachen begründet, die sich im Einzelnen aber nur schwer bis gar nicht auseinanderdividieren lassen.
- Mit dem Ende der Hessischen Sommerferien zum 02. September steigt das Verkehrsaufkommen jährlich spürbar.
- Parallel zum Ferienende ist nach drei Monaten auch das 9-Euro-Ticket ausgelaufen, welches Auswertungen von TomTom zufolge zu einer spürbaren Reduktion des Stauniveaus besonders in Wiesbaden führte.
- Der ausgedünnte Fahrplan dürfte zusätzlich dazu geführt, dass besonders im Pendel- und Schülerverkehr zusätzlich Menschen vom Bus aufs Auto umgestiegen sind.
- Durch den ausgedünnten Fahrplan sind die fahrenden Busse spürbar voller. Mehr Fahrgäste erschweren den Fahrgastwechsel. Verkehrsunternehmen rechnen ab einer Bus-Auslastung von 65% zu spürbaren Verzögerungen beim Ein- und Aussteigen.