2022 war ein bewegtes Jahr für die ESWE Verkehr – immer noch prägend führt der Mangel an Fahrpersonal zu einer weiter anhaltenden Einschränkung des Busangebotes der Landeshauptstadt. Die noch immer fehlende Salzbachtalbrücke, die Nachwirkungen des 9-EUR-Tickets, die mehr als angespannte Verkehrssituation auf Wiesbadens Straßen, Baustellen zur Fernwärmeversorgung, Wasserrohrbrüche auf zentralen Einfahrtsstraßen – der städtische ÖPNV steht aus verschiedensten Richtungen unter Druck.
- Zusammenfassung
- Entwicklung des Busangebotes
- Singuläre Ereignisse stören die Zuverlässigkeit
- Fahrtausfälle drastisch gesunken
- Busse wurden unpünktlicher
- Unpünktlichkeit im Tages- und Wochenverlauf
- Unpünktlichkeit nach Buslinie
- Verspätungen nach Linie, Tag und Zeit
Entsprechend kritisch reagieren Öffentlichkeit und Presse. Und tatsächlich schafft die ESWE Verkehr es nur schwer aus den Schlagzeilen. Doch wie bei vielen Verkehrsthemen dominieren oft Emotionen und Anekdoten – statt tatsächliche Zahlen. Wir werfen daher einen Blick auf die Zuverlässigkeit des Wiesbadener Bussystems der letzten acht Monate.
Fokus ist dabei der Wiesbadener Hauptbahnhof – denn hier laufen die meisten Buslinien zusammen. Datengrundlage sind damit knapp 320.000 (geplante) Busabfahrten im Zeitraum von Juni 2022 bis Januar 2023. Die Datensätze erlauben eine systematische über Pünktlichkeit und Ausfallquoten des Wiesbadener Bussystems – und dem Einfluss der Sommerferien, dem G7-Gipfel, von Baustellen und dem Berufsverkehr. Untersuchungsgegenstand sind die zentralen, regulären ESWE-Linien. Überlandlinien, SEV, Nachtlinien und E-Fahrten werden nicht betrachtet.
Zusammenfassung
- Von den im Zeitraum Juni 2022 bis Januar 2023 erfassten, 316.000 geplanten Abfahrten am Wiesbadener Hauptbahnhof fuhren 264.000 pünktlich. 8.600 Abfahrten fielen aus, 31.000 fuhren verspätet. Für 13.000 Abfahrten lagen keine Live-Daten vor.
- Seit der Umstellung auf den Samstags-Fahrplan im September (und der späteren Anpassung im Oktober) hat sich der Busverkehr stabilisiert.
- Das Bussystem reagierte äußerst sensibel auf Störungen wie dem G7-Gipfel, der Vollsperrung der Mainzer Straße im September und der Vollsperrung er Berliner Straße im Oktober.
- Die Anzahl ausgefallener Busse ist drastisch gesunken: Von rund 100 Ausfällen am Tag im Sommer 2022 auf zuletzt unter 10 im Januar 2023.
- Parallel hat sich die Pünktlichkeit im Herbst verglichen mit dem Sommer 2022 deutlich verschlechtert. Zuletzt waren wieder leichte Verbesserungen erkennbar.
- Die Verspätungen treffen bestimmte Linien (4, 14, 49) stärker als andere (1, 8).
- Die Verspätungen konzentrieren sich auf die werktäglichen Hauptverkehrszeiten.
- Linien, die auf eigenen Busspuren verkehren, sind sowohl im täglichen Verkehr als auch bei größeren Störungen deutlich pünktlicher. Am 06. September (Vollsperrung der Mainzer Straße) fuhren 91% der Busse der Linie 1 pünktlich, aber nur 45% der Linie 14. Nach dem Wasserrohrbruch auf der Berliner Straße waren 94% der Linie 1 pünktlich, aber nur jede Dritte Fahrt der 37.
Entwicklung des Busangebotes
Wendepunkt des Wiesbadener Busangebotes war die Umstellung auf den permanenten Samstagsfahrplan zum Ende der Sommerferien 2022. Die ESWE Verkehr reagierte so auf steigende Ausfälle durch fehlendes Fahrpersonal, wachsende Krankenstände und Überstunden. Die knapp über 1.900 geplanten Abfahrten pro Werktag sanken so zunächst auf rund 1.270 Abfahrten; in den Folgewochen wurde das Angebot sukzessive etwas erweitert und stagniert seit Anfang Oktober bei rund 1.350 Abfahrten pro Werktag.
Singuläre Ereignisse stören die Zuverlässigkeit
Neben (den später thematisierten,) strukturellen Verspätungen im Bussystem wirken sich auch singuläre Großereignisse auf die Zuverlässigkeit aus. Der Umstieg auf den Samstagsfahrplan zum Ende der Hessischen Sommerferien verlief mit Blick auf die Verspätungen geräuschlos. Wenige Tage später - am Dienstag, den 06. September - wurde die Mainzer Straße voll gesperrt, um den ersten Abschnitt der neuen Salzbachtalbrücke zu montieren. In der Folge kam es stadtweit zu massiven Staus, die nicht nur die Linien über die Mainzer Straße beeinträchtigten.
Knapp einen Monat später musste die Berliner Straße stadteinwärts wegen eines Wasserrohrbruchs voll gesperrt werden. Das Rohr brach in den sonntäglichen Abendstunden des 02. Oktober - durch den folgenden Feiertag schlug die Vollsperrung aber erst am 04. Oktober voll durch. Die Berliner Straße, die durch die fehlende Salzbachtalbrücke spürbare Mehrverkehre schultern muss, ging im Verkehr unter. Zwar sanken die Verspätungen durch Umleitungen in den folgenden Tagen; normalisieren sollte sich der Busverkehr dort aber erst mit dem Ende der Bauarbeiten knapp zwei Wochen nach Beginn der Sperrung. Durch die weitreichenden Mehrbelastungen der anderen Straßen wurden auch Buslinien in Mitleidenschaft gezogen, die selbst gar nicht über die Berliner Straße laufen.
Der Mitte November unter anderem in Wiesbaden abgehaltene G7-Gipfel sorgte für Straßensperrungen und in Folge verspätete Busse - in der Spitze zu langen Vollsperrungen zentraler Straßen im morgendlichen Berufsverkehr am 17. November.
Fahrtausfälle drastisch gesunken
Mit dem Umstieg auf einen permanenten Samstagsfahrplan sollte der Fahrplan stabilisiert werden. Erklärtes Ziel der ESWE Verkehr mit dieser Maßnahme war (neben der Entlastung des Fahrpersonals) die Reduktion von unvorhergesehenen Fahrtausfällen - ein "weniger, aber verlässlich"-Reset.
Wir gehen nun den ehrlichen Schritt und sagen: Wir wollen keine Ausfälle mehr, wir wollen wieder Zuverlässigkeit im Fahrplan für unsere Kundinnen und Kunden.
Jan Goernemann, in: "Busfahrer fehlen" sensor 05.09.2022
Tatsächlich ist mit Beginn des Samstagsfahrplanes zum Ende der hessischen Sommerferien die Anzahl an Fahrtausfällen drastisch gesunken. Innerhalb der Sommerferien (mitten im 9-Euro-Ticket) fielen im Schnitt täglich 98 Busse am Hauptbahnhof aus. In der 33. Kalenderwoche waren es im Schnitt 135 Busse täglich, mit einem traurigen Spitzenreiter am Freitag, dem 12. August 2022 (208 ausgefallene Abfahrten). Mit Start des reduzierten Fahrplanes in KW 36 sank die Zahl an Ausfällen auf durchschnittlich 15 Fahrten am Tag. Mit dem Jahreswechsel ist die Anzahl Fahrtausfälle nochmal spürbar gesunken.
Ein Blick auf die Ausfälle nach Buslinie zeigt außerdem, dass sich die hohen Ausfälle im Juli und August auf fast alle Linien verteilten - der Rückgang allerdings ebenso. Mit dem September 2022 sind die Ausfallquote der Buslinien sowohl relativ als absolut zurückgegangen.
Busse wurden unpünktlicher
Parallel zum Rückgang der Fahrtausfälle ist die Pünktlichkeit der Busse allerdings gesunken. So waren im Juli und August rund 4 % der Busse verspätet, verdreifachte sich die Zahl unpünktlicher Busse in den Herbstmonaten. Im Januar fuhr rund jeder zehnte Bus mit einer Verspätung von mehr als fünf Minuten am Hauptbahnhof ab.
Dafür lassen sich viele mögliche Gründe argumentieren: Mit dem Ende der Sommerferien nahm das Verkehrsaufkommen naturgemäß spürbar zu - sowohl auf den Straßen allgemein als auch innerhalb der Busse. Vollere Straßen führen zu mehr stockendem Verkehr - und der trifft die Busse ebenso. Je nach Linie (und dem Vorhandensein von Busspuren) schlagen sich diese Behinderungen unterschiedlich stark durch. Gleichzeitig sehen die Busse aber auch deutlich mehr Fahrgäste - außerhalb der Ferien sind mehr Berufspendler und mehr Schüler unterwegs.
Volle Busse mit vielen Fahrgästen verursachen lange Ein- und Aussteigezeiten - und damit Verspätungen. Mit zunehmender Verspätung warten an der nächsten Haltestelle mehr Fahrgäste - der Effekt schaukelt sich hoch. Dass gleichzeitig auch weniger Busse fahren, verstärkt den Effekt.
Bemerkenswert ist der Effekt der anderen Schulferien auf die Pünktlichkeit der Busse: In einem Herbst, in dem jeder fünfte bis sechste Bus unpünktlich fuhr, sank die Anzahl unpünktlicher Abfahrten in den Herbstferien auf 9,4 %. Die Weihnachtsferien waren mit Quoten zwischen 2 und 4 % ebenfalls signifikant pünktlicher.
Unpünktlichkeit im Tages- und Wochenverlauf
Mit Blick auf die angesprochenen Hauptursachen für Verspätungen im Busverkehr - stockender (Straßen-)Verkehr einerseits und überfüllte Fahrzeuge andererseits ist es wenig überraschend, dass die Pünktlichkeit der Busse sowohl im Wochen- als auch im Tagesverlauf signifikant schwankt. So sind die Busse Werktagen unpünktlicher als am Wochenende und in den Stoßzeiten unpünktlicher als in den Nebenzeiten.
Beides sind in den Grundzügen keine neuen Einsichten - in den Ausmaßen womöglich schon. So ist werktags in den morgendlichen Stoßzeiten jeder dritte Bus verspätet. Im abendlichen Berufsverkehr ist es immerhin jeder Vierte - für PendlerInnen und SchülerInnen, die gegebenenfalls auf Umstiege angewiesen sind, besonders ärgerlich.
Unpünktlichkeit nach Buslinie
Die Pünktlichkeit der Busse schwankt nicht nur nach Tag und Uhrzeit - sondern hängt auch maßgeblich von der Linie selbst ab. Je nach Linienführung können die Busse eigene Spuren (z.B. 1. Ring) nutzen. Auch spielt die Länge des Linienweges eine Rolle. Kürzere Linien können über die häufigeren Wendezeiten an den Endhaltestellen tendenziell eher Verspätung abbauen - je länger eine Linie läuft, desto länger werden Verspätungen verschleppt.
Daher ist es wenig überraschend, dass sich die angespannte Verkehrssituation nicht bei allen Linien, Wochentagen und Zeiten gleichermaßen auf die Pünktlichkeit auswirkt. Und in der Tat verkehrt die Linie 1, die große Teile auf der Umweltspur zurücklegt, verkehrt relativ stabil.
Die Busse der 4 und 14 sind besonders in den werktäglichen Hauptverkehrszeiten spürbar verspätet - eine Folge nicht nur der Länge der Route. Auch fahren diese mit der Biebricher Allee, der Biebricher Kernstadt, der Rheingaustraße und der Äppelallee über verkehrlich stark belastete Straßen - ohne dort eine Busspur nutzen zu können. Dabei sind die Busse in Richtung Dotzheim/Klarenthal verspäteter unterwegs als in die Gegenrichtung - ein Indikator dafür, dass die Verspätungen in Biebrich entstehen.
Die nur werktags fahrende "HSK-Linie" 49 weist die höchsten, durchschnittlichen Verspätungen auf. Im Betrachtungszeitraum fuhren die Busse in der morgendlichen Rush-Hour im Schnitt knapp zehn Minuten zu spät.
Der Frage, wo genau die Verspätungen entstehen, gehen wir in einem späteren Artikel auf den Grund.