Ein letztes Mal dieses Jahr tagt der Verkehrsausschuss am Dienstag. Gleich mehrere Tagesordnungspunkte drehen sich um die Verkehrssituation in Wiesbadens (Süd-)Osten – sei es das ÖPNV-Konzept des Ostfelds, der Haltepunkt an der Wallauer Spange oder die Kritik an der Vernachlässigung der östlichen Stadtteile im Verkehrsentwicklungsplan.

Weitere Anträge drehen sich um den Stand der barrierefreien Umbauten Wiesbadener Bushaltestellen, das Potential von weißen/helleren Straßenbaumaterialien, einem neuen Parkhaus in der Klarenthaler Straße (zuvor Thema im OBR RGV) und der Statusbericht der bisherig umgesetzten Maßnahmen aus dem Paket „Vermeidung Dieselfahrverbot“.

Die Wiesbadener FDP kommt mit zwei interessanten Anträgen in die Sitzung. Zum einen geht es um das gebeutelte ESWE MeinRad-System – ein Antrag, bei dem mir ehrlicherweise noch nicht klar ist, ob es um die Rettung des Systems oder den Todesstoß geht. So oder so besteht aber Handlungsbedarf.

Der zweite Antrag ist da deutlich sympathischer: Es geht um die möglichst umfangreiche Erhebung der innerstädtischen Pendlerströme – also um die Frage, wie viele Menschen genau von wo genau nach wo genau unterwegs sind – um eine zielgerichtetere Verkehrspolitik zu ermöglichen. Weitergehende Ansatz- und Kritikpunkte erspare ich mir hier – Transparenz über den Verkehr in Wiesbaden ist in jedem Fall unterstützenswert.

Update: Nachlese zur Sitzung

Redezeit: Qualität oder Quantität?

Die FDP wird sich deutlich dafür einsetzen, dort am Elsässer Plätz mehr Parkraum für Anwohnerinnen und Anwohner zu schaffen.

Christian Diers, FDP-Fraktionsvorsitzender, Diskussion zu TOP 16 20-V-23-0002

Wir sind sehr stark dafür, die Verkehrsteilnehmer zu trennen. Man muss nicht alle Verkehrsteilnehmer durch alle Straßen jagen.

Christian Diers, FDP-Fraktionsvorsitzender, Diskussion zu TOP 9 20-F-20-0023

Die ESWE Verkehr ist ein exzellenter Betreiber von Bussen – bei allem Weiteren sollten wir die Strategie überdenken.

Christian Diers, FDP-Fraktionsvorsitzender, Diskussion zu TOP 9 20-F-05-0077

Jetzt wurde mir der Kalauer geklaut – den wollte ich auch bringen. Das Auto ist bei vielen hier ja das böse Verkehrsmittel.

Christian Diers, FDP-Fraktionsvorsitzender, Diskussion zu TOP 9 20-F-05-0077 – nach der Korrektur durch Br. Forßbohm, dass die Radwegestudie vom ADAC erstellt worden sein – nicht vom ADFC.

Kostentreiber des Haltestellenumbaus

Wenig überraschend gibt es einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Länge der umzubauenden Haltestelle und der entstehenden Kosten. Viele Kostenpositionen sind direkt Längen- oder Flächenabhängig. Und so ergibt sich beispielhaft für unten genannte sieben Umbauten in 2020 ein recht eindeutiger Zusammenhang.

Angesichts der hohen Zahl der noch umzubauenden Haltestellen erscheinen die Kosten von 100.000 EUR pro Haltestelle (bzw. besser: pro Bussteig) als recht hoch. Doch wie setzen sie sich zusammen? Das haben wir beispielhaft für die unten genannten sieben Haltestellen zusammengefasst.

Für diese sieben Haltestellen sind knapp 560.000 EUR kalkuliert. Davon entfallen zwei Drittel auf direkte Baukosten und jeweils rund 13% auf Mehrwertsteuer und Baunebenkosten (wie Planungsleistungen). Die verbleibenden 6% sind Zuschläge für Kleinleistungen1Die Zuschläge werden mit 10% der Baukosten angesetzt. „Bereits der Wortlaut „Kleinleistungen“ macht deutlich, dass es um Leistungen geht, die jedoch so klein sind, dass diese in der gröberen Bearbeitungstiefe des Entwurfs und der Kostenberechnung noch nicht enthalten sind. (…) Gerade bei Verkehrsanlagen hat man solche Kleinleistungen zuhauf. Beispiele sind: Ansprühen mit bitumenhaltigen Bindemitteln, Übergänge im Oberbau, Schmelzband (TOK), Kontrollprüfungen, Dehnungsfugen, Suchschlitze, Leitungssicherungen, Aussparungen, Oberflächenbehandlungen, Trennfolien, Höhenmesspunkte
oder Jahreszahlen am Bauwerk.“ (Quelle)
.

Doch wie teilen sich die Baukosten weiter auf? Die Kostenschätzungen im PiWi lassen einen detaillierteren Blick zu. Die sieben beispielhaft betrachteten Umbauten veranschlagen 370.000 EUR reine Baukosten. Davon entfallen knapp 80.000 EUR auf den Aushub und die Entsorgung von Erdreich/Bauschutt. Lieferung und Setzen neuer Bordsteinkanten schlägt mit knapp 20% der Gesamtbaukosten zubuche. Kostentreiber hier vor allem der Sonderbordstein Bushaltestelle, der mit 270 EUR pro Meter berechnet wird.

20-F-05-0077 – ESWE MeinRad: Rettung oder Todesstoß?

Die FDP Wiesbaden konnte man nie als wirklichen Fan eines städtisch betriebenen BikeSharing-Systems bezeichnen. ESWE MeinRad, eingeführt im Juli 2018, wurde bereits mehrfach Ziel kritischer Anfragen der Wiesbadener Liberalen – durchaus nicht unberechtigt. Anfängliche Probleme mit gefälschten Nutzerkonten und Vandalismus sind mittlerweile überstanden, die Nutzungszahlen lassen aber weiter zu wünschen übrig. Der Ausleihprozess ist holprig, die App fragil, die Konkurrenz durch E-Scooter seit August 2019 setzt das BikeSharing vermutlich zusätzlich unter Druck.

Aus der Reihe anekdotischer Beweise: Tatsächlich nutze ich persönlich neben meinem eigenen Rad fast nur noch E-Scooter, vorzugsweise TIER. Nach wiederholten Problemen beim Ausleihen und /oder Zurückgeben der ESWE MeinRad-Räder per App hab ich darauf einfach keine Lust mehr. Ob die Probleme aus meinem Handy oder der App oder dem System als ganzem resultieren, vermag ich nicht zu beurteilen.

Mit 25.000 Fahrten im Jahr 2020 blieb das System MeinRad deutlich unter den Erwartungen zurück – geplant waren über 130.000. So vielfältig die Ursachen sein mögen, so eindeutig die Feststellung der FDP: Werden Defizit und Nutzung in Relation gesetzt, wird jede einzelne Fahrt mit 30 Euro subventioniert. Kommendes Jahr sind 1,5 Millionen Euro Defizit eingeplant.

Und so möchte die FDP dem Projekt ESWE MeinRad eine letzte Chance geben: Mit einem neuen Tarif (einer Flatrate). Pikant ist bestenfalls die Messung des erhofften Erfolgs: Umsatz und/oder Einsparung. Keine Kundenzahlen, keine Anzahl Fahrten. Steige der Erfolg durch das neue Modell nicht nennenswert, solle meinRad als solches Geschichte werden. Private Partner, der Markt, mögen es dann richten.

Doch ein BikeSharing-Markt ist in Wiesbaden nicht in Sicht – derzeit sind mit MVG MeinRad, DB Call-A-Bike und nextBike nur eine übersichtliche Anzahl BikeSharing-Anbieter am Start. MVG MeinRad ist Tochter der Mainzer Stadtwerke (also dem Pendant der ESWE, die betreiben das System nur erfolgreicher). DB Call-A-Bike ist als Teil des DB-Konzerns letztlich Eigentum der Bundesrepublik, nextBike war in Wiesbaden auch nur dank eines Vertrags mit der dem AStA der HSRM halbwegs flächendeckend vertreten – also subventioniert von der Hochschule. Der klassische Markt im wirtschaftstheoretischen Sinne für BikeSharing ist in Wiesbaden noch nicht in Sicht.

Die Ursachen für den mäßigen Erfolg des ESWE-MeinRad-Systems sind sicher vielfältig. Fraglich ist, inwiefern ein neues Tarifmodell da die Wende bringt oder ob der Vorschlag der FDP nur die Vorbereitung des Todessstoßes sind. Nichtsdestotrotz: Ein städtisches BikeSharing-System, ist kein Selbstzweck. Ob es wirklich Gewinn erwirtschaften muss, lässt sich sicherlich diskutieren (tut Autoverkehr und der ÖPNV ja auch nicht…). Die Nutzungszahlen sollten aber eine deutliche Sprache sprechen – und der Anbieter ist hier in der Pflicht, zu liefern.

20-F-33-0006 – Benutzerfreundlicher Haltestellenausbau

Unter dem Titel des benutzerfreundlichen Ausbaus verbirgt sich der barrierefreie Ausbau von Bushaltestellen. Mit der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes vom 01.01.2013 ist der vollständige, barrierefreie Umbau bis zum Januar 2022 für den ÖPNV verpflichtend.

Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.

§8 (3) Satz 3 PBefG

Zu einem derartigen, barrierefreien Umbau gehören neben den taktilen Streifen im Bordstein auch die Höhersetzung der Bordsteinkante, um den Spalt zwischen Bus und Bordstein zu minimieren. Mit entsprechend höherer, speziell auf Busse ausgelegte Bordsteinkanten werden auch Rampen benötigt. Im Alltag kaum wahrnehmbar – für barrierefreies Reisen unersetzlich.

HaltestellePiWiLänge d. BaumaßnahmeKostenKosten/Meter
Karl-Drebert-Straße20-V-66-024458 Meter127.000 EUR2.200 EUR/m
Patrickstraße20-V-66-023040 Meter107.000 EUR2.675 EUR/m
Carl-von-Linde-Straße/Flachstraße20-V-66-022626 Meter56.000 EUR2.150 EUR/m
Flachstraße20-V-66-021723 Meter40.000 EUR1.740 EUR/m
Dyckerhoffstraße20-V-66-023439,5 Meter115.000 EUR2.900 EUR/m
Fichtestraße/ Handwerkskammer20-V-66-022343,5 Meter110.000 EUR2.500 EUR/m
Beispielhafte Zusammenstellung einiger Haltestellenumbauten aus dem PiWi, Antragsjahr 2020. Die Kosten hängen natürlich nicht nur von der Länge der Haltestelle ab – auch von einer Reihe weiterer Faktoren wie Breite des Fußweges, etwaige Überwege, zu verlegende Leitungen.

Berichten des Wiesbadener Kuriers zufolge2Stolperfalle Gehweg, 21.01.2019 war Anfang 2019 nur ein Viertel der 880 Wiesbadener Bushaltestellen vollständig barrierefrei. 2017 wurden 13 Haltestellen umgebaut, 2019 weitere 15. Bei der Geschwindigkeit erscheint ein vollständiger Umbau bis 2022 fraglich – ein guter Grund, den aktuellen Stand und die weiteren Planungen zu hinterfragen.

vollständige Liste der Anträge

AntragTitelAntragstellerErgebnis
20-J-42-0015Sicherheitspersonal in NightlinernAK „Nachtleben und Sicherheit“
20-J-42-0021Protected Bike LanesAK „Umwelt und Radverkehr“
19-V-05-0002Abschlusspräsentation
Projekt Ostfeld/Kalkofen: Machbarkeitsstudie für eine leistungsfähige ÖPNV-Erschließung
20-A-15-0001Sachstandsbricht
Wallauer Spange – Haltepunkt Wallau/Delkenheim
20-F-21-0055Aufgehellter Asphalt in WiesbadenSPD, CDU, Grüneeinstimmig angenommen
20-F-33-0007Wiesbadener Osten – Verkehrskonzepte und MaßnahmenSPD, CDUangenommen bei Enthaltung d. Grünen
20-F-33-0006Benutzerfreundlicher HaltestellenausbauSPD, CDUeinstimmig angenommen
20-F-20-0023ADAC-Studie zu den Wiesbadener „ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen)“SPD, Grüneangenommen bei Enthaltung d. AfD
20-F-29-0006Anforderung eines Reports der bisher umgesetzten Maßnahmen aus dem LuftreinhalteplanCDU, Grüne1. & 2. einstimmig beschlossen
3. angenommen bei Enthaltung der FDP
20-F-05-0077Eine letzte Chance für meinRad: 5 Euro im Monat, 30 Euro im JahrFDPeinstimmig angenommen
20-F-05-0078Innerstädtische Pendlerströme erfassen und abbildenFDP
20-V-23-0002Errichtung eines städtischen Parkhauses an der Klarenthaler Straße

mathias

Aufgewachsen in Berlin, seit über einem Jahrzehnt Wahl-Wiesbadener. Eigentlich Nordost, im Herzen aber Westend. Regelmäßiger Radler und Carsharing-Nutzer, (zu häufig) auch E-Scooter. Ehem. Verkehrsplaner (SGV). Faible für Daten, Karten und Grafiken.

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