TIER: So wird die Reichweite ermittelt

Im November 2021 beleuchteten wir bereits, wie die (damals) in Wiesbaden aktiven Scooter-Anbieter die verbleibende Reichweite ihrer Fahrzeuge ermitteln. Es wird Zeit für einen systematischen Ansatz, der auch über die Stadtgrenzen hinaus analysiert.

• Datenstruktur
• Verbreitung und Flottengröße
• Reichweite
• Elektro-Mopeds
• Berechnungsmethode
• E-Bikes
• Berechnungsmethode
• Scooter
• Berechnungsmethode
• Maximale Geschwindigkeit

Der in Berlin sitzende Anbieter TIER Mobility SE ist in vielen Ländern Europas, aber auch im Nahen Osten aktiv. Angeboten werden neben klassischen E-Scootern auch Elektro-Fahrräder und Elektro-Mopeds. Über die hier (Link) dokumentierte Schnittstelle sind die im Folgenden verwendeten Daten zugänglich.¹Die Analysen basieren auf einer Momentaufnahme vom 19. September 2022. Die analysierten Datensätze stehen am Ende des Dokumentes zum Download bereit.

Datenstruktur

Die über die oben genannten Schnittstelle erhaltenen Daten im json-Format beinhalten unter anderem folgende Informationen über das jeweilige Fahrzeug:

{
         "type":"vehicle",
         "id":"1c7b3e7e-5de2-4864-9e09-38c822eeb18d",
         "attributes":{
            "state":"ACTIVE",
            "lastLocationUpdate":"2022-09-19T20:03:19Z",
            "lastStateChange":"2022-09-19T08:51:22Z",
            "batteryLevel":57,
            "currentRangeMeters":23000,
            "lat":21.64651,
            "lng":39.101586,
            "maxSpeed":20,
            "zoneId":"JEDDAH",
            "code":181299,
            "iotVendor":"okai",
            "licencePlate":"181299",
            "isRentable":true,
            "vehicleType":"escooter",
            "hasHelmetBox":false,
            "hasHelmet":false
         }
}

Fahrzeuge, die gerade in Benutzung oder defekt sind, lassen sich (zumindest über die allgemeine, zonenweite Abfrage aller Fahrzeuge) nicht erfassen; ein Tracking einzelner Fahrten wird damit erschwert.²Ob sich TIER-Scooter über fahrzeugspezifische Abfragen tracken lassen, während sie gemietet sind, haben wir nicht getestet. Für andere Anbieter gibt es allerdings schon entsprechende, erfolgreiche Versuche.

• Fahrtzeugtyp (type, iotVendor)
• Identifikation (id, code, license plate)
• Standort (zoneId, lat, lng)
• Zustand (batteryLevel, currentRangeMeters, state, isRentable)

Die angegebene Maximalgeschwindigkeit (maxSpeed) scheint nicht fahrzeugspezifisch, sondern standortabhängig. Dazu weiter unten mehr.

Verbreitung und Flottengröße

TIER ist in den meisten Ländern Europas aktiv, die größte Flotte befindet sich in Berlin (>15.000 Fahrzeuge). Insgesamt finden sich Scooter von TIER derzeit in 260 Städten, E-Bikes in knapp 70 und E-Mopeds immerhin in dreien. Die Datengrundlage der Analyse bildet die Gesamtmenge der zum Stichtag in den Städten verfügbaren (also freien) Fahrzeuge; insgesamt knapp 150.000 Scooter, 17.000 Bikes und 1.700 Mopeds.

Mit Israel, Saudi-Arabien, den V.A.E. und Katar ist Tier darüber hinaus auch im Nahen Osten aktiv. Die Zonen in beispielsweise Saudi-Arabien unterscheiden sich aber durchaus von den europäisch gewohnten.

Reichweite

Im Gegensatz zu früheren Analysen beinhalten die abgefragten Rohdaten nun nicht nur Daten zum Ladestand der Batterie, sondern auch zu den daraus resultierenden Reichweiten. In der ersten Analyse aller Daten zeigen sich damit insgesamt sechs verschiedene, lineare Abhängigkeiten zwischen Ladestand und (prognostizierter) Reichweite: drei für Scooter, zwei für Bikes und eines für die Elektromopeds.

Damit zeigt sich, dass auch TIER weiterhin zur Prognose der Reichweite eine direkte und eindeutige Berechnungsmethode zugrunde legt - relevante Umgebungsfaktoren (wie Außentemperatur oder durchlaufende Ladezyklen) aber unberücksichtigt lässt.

Auffällig ist weiterhin, dass bis auf als Ausreißer ansehbare Ausnahmen, keine Fahrzeuge mit einem Ladestand kleiner gleich 20 % ausleihbar sind. Rechnerisch haben die Fahrzeuge mit 20%iger Ladung noch zwischen drei (scooter) und acht (moped) Kilometer Reichweite, für eine durchschnittliche Fahrt sollte es ergo reichen. Hier kann daher das Zugeständnis der nur ungenau prognostizierten Rest-Reichweite durchschimmern.

Elektro-Mopeds

Tier ist zum Zeitpunkt der Datenanalyse in drei Städten als Verleiher von Elektro-Mopeds aktiv: Berlin, München und Utrecht. In allen drei Städten kommen Mopeds des Händlers invers zum Einsatz. Auch hier sind unterhalb von 20% Ladestand keinekaum Fahrzeuge ausleihbar.

Auffällig ist darüber hinaus, dass zwischen 20% und 100% insgesamt acht Ladezustände gar nicht auftauchen: 29%, 39%, 49%, 59%, 60%, 79%, 89% und 99%. Was zu auffällig ist für einen Zufall, könnte seine Ursache in der Übersetzung der Moped-internen Messung des Ladestandes auf die diskrete Skala von 0 bis 100% haben. Wenn Moped-intern keine 100 verschiedenen Ladezustände messbar sind, bleiben bei der Übersetzung der Skala in den Prozentbereich einige unbelegt.

Berechnungsmethode

y_{invers} = 625x - 5.701\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9997 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

E-Bikes

In knapp 65 Städten/Zonen bietet Tier Mobility derzeit Elektrofahrräder an - die größten Flotten in Berlin, Paris und Rom. Die Bikes zweier verschiedener Hersteller unterscheiden sich am offensichtlichsten in ihrer Reichweite: Während die Bikes des Herstellers ninebot bei voller Akkuladung knapp 40 Kilometer schaffen, schaffen es die Räder des Herstellers okai mit 82 Kilometern mehr als doppelt so weit.

Mit Ausnahme von York, in dem Bikes beider Hersteller unterwegs sind, sind die Städte tier-seitig sortenrein aufgestellt. Die bikes mit der erhöhten Reichweite konzentrieren sich auf Norwegen (Großraum Oslo), Süddeutschland und die Schweiz.

Berechnungsmethode

y_{okai} = 900x - 7.650\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9997 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

y_{ninebot} = 450x - 4.985\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9992 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

Scooter

In über 250 Städten stehen über 150.000 Scooter des Anbieters TIER bereit. Diese umfassen im Wesentlichen drei Modelle: Zwei stammen von okai (in Ermangelung weiterer Informationen im Folgenden Typ A und Typ B genannt), einer von ninebot (g3). Der Scooter okai Typ B ist mit knapp zwei Dritteln der Flotte am weitesten verbreitet.

Wie auch bei den E-Bikes sind die Scooter meist sortenrein verteilt - in den meisten Städten findet sich nur ein Typ der Scooter.

Berechnungsmethode

y_{ninebot\:g3} = 350x - 3.350\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9984 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

y_{okai(A)} = 333x - 3.320\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9988 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

y_{okai(B)} = 533x - 7.404\: \:\: \: \:  mit\: R^{2} = 0,9995 \\y: Entfernung\:[m]\\x: Ladestand\:[\%]

Maximale Geschwindigkeit

In den Rohdaten zu den einzelnen Fahrzeugen ist über das Merkmal maxSpeed eine maximale Geschwindigkeit der Fahrzeuge angegeben. Eine geografische Analyse der Geschwindigkeiten zeigt allerdings, dass diese vom Standort abzuhängen scheint - nicht vom Typ.

Beispiel Helsinki: Die Scooter, allesamt Typ okai(B), kommen mit drei möglichen Ausprägungen des maxSpeed-Merkmals vor: 10, 15 und 20 km/h.

Die auf 10 km/h gedrosselten Scooter (grün) finden sich fast ausschließlich im Bereich der innerstädtischen Fußgängerzonen, die auf 15 km/h reduzierten (orange) im Bereich weiterer Parks und Gehwege. Ein klarer Hinweis auf eine Geschwindigkeitsreduktion per Geofencing.